Overbergschule Warendorf
Wie wichtig es ist, dass Kinder, die mit ihren Familien nach Deutschland einwandern, die Sprache des Ziellandes lernen, ist offenkundig: "… Es ist die Basis für erfolgreiche Integration von Flüchtlingskindern in Schule und Gesellschaft." Im März 2022 durften wir die ersten Kinder aus der Ukraine bei uns in der Schule willkommen heißen. Bis heute kommen im laufenden Schuljahr kontinuierlich weitere Kinder ohne Sprachkenntnisse dazu - aus ganz unterschiedlichen Ländern unserer Erde. In diesem Zusammenhang stehen wir vor der Herausforderung, dass diese Kinder eine sehr heterogene Kleingruppe bilden. Zudem sind Kinder der höheren Jahrgänge nicht immer alphabetisiert. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Kleingruppe von einer hohen Fluktuation sowohl von Zuzug als auch Abgang gekennzeichnet und belastet ist. Lehrwerke, Online-Lernformen und Materialien zu dem Bereich DaZ vermögen dieses Problem nicht in Gänze aufzufangen, so dass die Arbeitsmaterialien einem Stückwerk gleichen. Bei unserer steten Suche nach aktuellen Unterrichtsmaterialien und neuen Ansätzen stießen wir auf eine Fortbildung und anschließenden Qualifizierungsmaßnahme, veranstaltet durch das BISS-Akademie NRW, in der das neue Lehrwerk Schrittweise Deutsch vorgestellt wurde. In Folge dieser Fortbildung sind wir eine Kooperation mit der Universität Münster eingegangen, durch die wir das vorgestellte, neu entwickelte Material, Methode und Lehrwerk namens Schrittweise Deutsch leihen und erproben dürfen. Im Zentrum dieses Lehrmaterials und -methode steht ein Sprachkoffer. Dieser enthält Bildkarten, Audiostift und Satzleisten. Da jede Bildkarte mit dem Stift nicht nur lesbar, sondern auch abhörbar ist, können auch nicht alphabetisierte Kinder mit dem Koffer arbeiten. Das innovative Moment ist, dass nicht nur Bildkarten zum Wortschatz, sondern auch Symbole für grammatische Strukturen vorliegen. Auf diese Weise werden DaZ-Schülerinnen und Schüler sehr schnell in die Lage versetzt, eigenständig Sätze zu produzieren, statt vornehmlich auf Chunks zurückzugreifen. Zum Koffer gibt es Schülerbände, die die Arbeit mit dem Sprachkoffer unterstützen und flankieren und den Rückgriff auf zusätzliches Material, Kopien überflüssig werden lässt. Jeweils vier Kinder können mit einem Koffer arbeiten. Uns ist es nicht nur ein gesellschaftliches Anliegen, sondern auch eine pädagogische Herzenssache diesen Kindern einen bestmöglichen Start und optimale Förderung zu bieten. Der Erwerb der Zielsprache Deutsch hat dabei Priorität und erfolgt in einer Kleingruppe. Baumann, Ina 2022: Deutsch als Zweitsprache. Erstmal den Druck rausnehmen. Online abrufbar unter: https://www.friedrich-verlag.de/bildung-plus/inklusion-und-integration/lese-und-sprachfoerderung/erstmal-den-druck-rausnehmen/
Wir verfolgen damit das Ziel, eine wissenschaftlich fundierte, innovative und systematische Sprachförderung zu implementieren und gleichzeitig noch stärker zu differenzieren, um individuell auf die Schüler und Schülerinnen eingehen zu können. Gruppen, an denen sowohl alphabetisierte als auch nicht-alphabetisierte Kinder teilnehmen, können mit dem Material gleichermaßen arbeiten. Der Sprachkoffer ermöglicht den Kindern im Sprachunterricht ein stärkeres eigenständiges Arbeiten. Zudem wird ihnen schrittweise die Verantwortung für das Aufräumen und Beibehaltung der Systematik des Koffers übertragen. Damit erhoffen wir uns, die Kinder bestmöglichst bei ihrem Erwerb der deutschen Sprache zu fördern, was ihnen hoffentlich eine gute Basis schenkt - die Basis für eine erfolgreiche Integration.
Einer dieser Sprachkoffer Leihgabe der Uni Münster während der Erprobungszeit ist derzeit seit November 2022 im Einsatz und wird von unseren Lehrkräften und unseren SchülerInnen als sehr geeignet und praxistauglich eingeschätzt. Die Kinder bilden durch das Material tatsächlich schneller Sätze, sind hochmotiviert und eine Differenzierung ist zielgerichteter und passgenauer möglich. Die Heterogenität der Gruppe wird teilweise sogar als bereichernd angesehen. In Zukunft wünschen sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen weiterhin mit dem Sprachkoffer zu arbeiten, auch, wenn die Leihgabefrist endet, was das durchgängig positive Feedback zum Deutschförderunterricht spiegelt.
Beschreibung des Projektes
An unserer Schule liegt es uns besonders am Herzen, den Kindern, die mit keinerlei oder gar keinen Deutschkenntnissen zu uns kommen, einen guten Start in die Schule zu bieten.
Gleichzeitig wissen wir, dass diese Kinder vor einer großen Herausforderung stehen. Sie haben die Sprache in kurzer Zeit zu lernen - oftmals zudem noch das Lesen und Schreiben der lateinischen Buchstaben. Hinzu kommt sowohl das Erlernen der Satzbildung bzw. Grammatik als auch die Anwendung in Kommunikationssituationen.
Das ist viel - und auch schwer. Wie kann da der Start gut gelingen?
Als Antwort darauf haben wir für uns das Lehrwerk Schrittweise Deutsch entdeckt. Im Zentrum dieses Lehrwerks steht ein Sprachkoffer, der in vielen Schubladen Bildkarten enthält. Zu dem Koffer gehört außerdem ein Audiostift nund eine Satzleiste, mit der Grammatik veranschaulicht werden kann.
Das Tolle ist, dass auch nicht alphabetisierte Kinder mit ihm arbeiten können und wir das Gefühl haben, mit diesem Lehrwerk auch den Kindern stärker gerecht zu werden. Sie finden mit dem Koffer eine spannende und zugleich strukturierte Lernumgebung vor.
Diesen Koffer konnten wir dank einer Leihgabe ausprobieren und die genannten Erfahrungen sammeln. Doch das Ende der Leihfrist nahte und das sehr umfassende Material war kostspielig.
Glücklicherweise ermöglichte uns die Gelsenwasser-Stiftung die Weiterarbeit mit dem Material und versetzt uns somit in die Lage, den Kindern den Start zu bieten, den wir ihnen schenken wollen.
Wie wurden die Kinder eingebunden?
Am Anfang steht natürlich das Entdecken des Sprachkoffers, was den Kindern viel Freude bereitet. Danach werden die Kinder sukzessiv dazu angeleitet, selbstständiger mit dem Sprachkoffer zu arbeiten. Die Bildkarten wieder in die richtigen Schubladen zu geben - das Aufräumen also - , gehört ebenso dazu. Außerdem finden die Kinder Fotos von sich in einer Schublade des Koffers, womit sie Sätze bauen. Die Kinder sind mit ihren Fotos also selbst ein Teil des Koffers.
Rückblick:
In diesem Schuljahr starteten wir in einer neuen Gruppe von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache mit dem Sprachkoffer. Noch vor Beginn der Stunde gab der Koffer Anlass zu neugierigen Fragen und Blicken. Auch Kinder mit Erstsprache Deutsch interessierten sich sehr dafür und waren enttäuscht, dass sie nicht direkt mitarbeiten durften.
Als es endlich so weit war, entdeckten die DaZ-Kinder mit leuchtenden Augen den Koffer und übten zunächst in den ersten Stunden gängige Redewendungen damit ein. Die Arbeit mit dem Audiostift machte den Kindern besonders Freude und oftmals wurde eine Bildkarte abgehört, obwohl die Redewendung schon längst beherrscht wurde.
Im Verlauf der weiteren Arbeit wurden Bildkarten zu Verben erschlossen. Danach kamen die Fotos der Kinder zum Tragen. Sie bildeten mit ihren Fotos eigene Sätze. Dass der Audiostift auch aufnehmen kann, sorgte für einen besonderen Überraschungsmoment. Zunächst war es für die Kinder eigenartig, die eigene Stimme zu hören, doch die Gewöhnung kam schnell.
Nun sind wir so weit, mit dem Koffer einen neuen Wortschatz zu erschließen. Das Aufräumen klappt mittlerweile immer besser, aber sicher ist, dass das Lernen mit dem Koffer viel Freude bereitet und die Kinder hochmotiviert sind.
Aus dem DaZ-Unterricht wird manches Mal schon der Sprachkoffer-Unterricht und es kommt vor, dass die Kinder mit etwas Ungeduld fragen, wann denn wieder ihre Sprachkoffer-Stunde stattfindet.
Nicht zuletzt solche Momente zeigen uns: Einen besseren Start - als mit Freude und Motivation Deutsch zu lernen - können wir uns nicht vorstellen.