Schule Oberwiese
Ein Projekt der etwas anderen Art: Das rAuSzeit-hauS. Auszeiten brauchen wir alle. Doch was ist, wenn die Pause zur Strapaze wird? So ergeht es vielen Schüler:innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung - im Weiteren mit ASS abgekürzt - in der Schule tagtäglich. Ihre Mitschüler:innen spielen und toben, werfen einen Ball und quietschen vor Vergnügen. So soll es sein! Aber durch das ausgelassene Spiel entsteht eine Kulisse aus unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Reizen für verschiedene Wahrnehmungsbereiche. Dies kann Schüler:innen mit einer ASS an den Rand ihrer Belastbarkeit treiben. Um der Not und den besonderen Bedürfnissen dieser Schülerschaft entgegenzukommen möchten wir an der Schule Oberwiese ein reizarmes rAuSzeit-hauS erschaffen - einen Ort, an dem sie sich geborgen fühlen und entspannen können. Denn gerade für diese Menschen sind strukturierte Phasen zur Regeneration besonders wichtig, um die langen Schultage - inklusive Busfahrt oft mehr als 8 Stunden - bewältigen zu können. Der Hintergrund: Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben sehr sensible Sinneswahrnehmungen und können verschiedene Reize in ihrer direkten Umgebung häufig nicht selektieren. Wenn sie die damit verbundene Überforderung nicht mehr ertragen können, kommt es oftmals zu Wutausbrüchen. Ein negativer Kreislauf - der die Integration dieser Schüler:innen massiv erschwert - wird in Gang gesetzt. Wie belastend die regulären Pausen für Schüler:innen mit einer ASS sein können, kann durch folgendes Zitat eindrucksvoll veranschaulicht werden: "Sehr schwierig waren auch die Pausen, die unkontrolliert, chaotisch und ohne jede Regel abzulaufen schienen. Manchmal saß ich in diesen freien Zeiten auf der Schultoilette, die mir zu einem ruhigen Zufluchtsort wurde, wenn das Chaos um mich herum zu groß wurde …" Preißmann 2013b, S. 18. Bei der Umsetzung des Projekts wollen wir uns an etablierten sonderpädagogischen Konzepten orientieren, u.a. am TEACCH-Konzept von Anne Häußler und am Konzept des kleinen Raumes nach Lilli Nielson. Konkret soll ein rAuSzeit-hauS als Rückzugsort auf dem Pausenhof errichtet werden, das zugleich reizarm und dennoch mit beruhigenden Materialien ausgestattet wird, denn obwohl viele Schüler:innen mit einer ASS sich häufig nach einer ruhigen Umgebung sehnen, benötigen sie sehr unterschiedliche Angebote, um sich entspannen zu können z.B. Igelbälle, Sanddecke, Kopfhörer, etc..
In der Ruhe liegt die Kraft: Jeder hat ein Recht auf Pause. Vor allem Schüler:innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Das geplante rAuSzeit-hauS muss zahlreiche Eigenschaften und Merkmale erfüllen, um den individuellen Bedürfnissen gerecht werden zu können. Es soll Rückzug, Ruhe, Sicherheit und Struktur bieten, Orientierung schaffen und vor allem Augenblicke des Wohlbefindens für Schüler:innen mit einer ASS in der Pausenzeit ermöglichen. Partizipation hat viele Gesichter! Unser Projekt kommt dem Willen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung einen Schritt näher. Diese sieht ein Bildungssystem vor, das Chancengleichheit, Gerechtigkeit, gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation auf allen Ebenen gewährleistet. Dies ist letztlich nur möglich, wenn man die diversen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung ernst nimmt. Das rAuSzeit-hauS soll ein Schlüssel zu mehr Integration unserer Schülerschaft mit einer ASS sein. Während es einen Rückzugsort mitten im Geschehen, nämlich auf dem Schulhof, bieten kann, ermöglicht es durch die zentrale Lage zudem die Möglichkeit weiter am Geschehen als Beobachter:in teilzunehmen. Als Teil der Schulgemeinschaft. Individuelle Teilhabe gemäß individuellen Bedürfnissen: Mittendrin statt außen vor.
Waren die Schüler:innen mit einer ASS bereits die Ideengeber zu diesem Projekt, sollen sie unter Beachtung ihrer individuellen Bedürfnisse und Entwicklungsstände im weiteren Verlauf die Hauptakteure sein. Mit Schüler:innen etwas zu bauen, zu gestalten, zu nutzen und erhalten ist ein einzigartiges Erlebnis. Der Weg -mit Struktur in der Natur- wird unser Ziel und wir werden ihn gehen. Planung, Bau, Gestaltung, Nutzung und Erhalt von unserem rAuSzeit-hauS: Wahrnehmungsorientierte Planung: • Identifizierung und Wahrnehmung von Wünschen und Bedürfnissen der Schüler:innen. • Erstellung von individuellen visualisierten Aufgaben- und Handlungsplänen zum gemeinsamen Zusammenbau. • Um auch die größeren Bauarbeiten gewährleisten und umsetzen zu können sollen Kooperationen mit den Arbeitslehregemeinschaften der Klassen 9 und 10 stattfinden. Prozessorientierter Bau und flexible Gestaltung: • Klare Strukturierung des Bauvorhabens. • Umsetzung der einzelnen Bauphasen. • Teilhabe der Schüler:innen durch individuell angepasste Arbeitspläne und Verteilungen von Zuständigkeiten. Wohltuende Nutzung: • Rückzugs- und Sicherheitsort: Ermöglichen von Augenblicken des Wohlbefindens. • Möglichkeit einer ruhigen Erholungspause, des Alleinseins, zur Selbstregulation, zur Beobachtung des Pausengeschehens aus sicherer Entfernung. • Strukturierungen von Raum, Zeit und Materialien. Wirksamer Erhalt: • Einrichtung von langfristigen Raum- und Wäschediensten durch Schüler:innen der Schulgemeinschaft Arbeitslehre der SEK I und AG’s.
Raus in den Garten, rein in eine wohltuende Auszeit
für Schüler:innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ASS.
Was eine Aufregung für alle großen und kleinen Oberwiesener:innen: Rot-weißes Flatterband, ein so tiefes Loch im Boden, eine Betonplatte zum Tanzen?
Wann kommt denn nun das von allen so freudig erwartete Haus für eine rAuSzeit?
In der Ruhe liegt die Kraft: "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug, den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur den nächsten. … Dann macht es Freude das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein." aus: Momo von Michael Ende.
Der Rohstoffmangel hat uns ganz schön bös' in die Karten gespielt. Umso mehr freut sich die gesamte Schulgemeinschaft nun über das wunderschöne rAuSzeit-hauS, welches nach dem Wunsch unserer Schüler:innen mit einer ASS einen schönen und ruhigen Platz im Grünen unseres Schulhofs, mit bestem Ausblick auf die lachenden Gesichter der Mitschüler:innen und wuseligen Pausenzeiten, bekommen hat. Individuelle Teilhabe gemäß individuellen Bedürfnissen, nicht wahr?!
Das ist ja der Hammer!
Beim Aufbau griffen uns auf Grund der zeitlichen und wetterbedingten Einbußen ein paar Profis unter die Arme. Unsere kleinen Schüler:innen der Schule Oberwiese ließen es sich dennoch nicht nehmen den ein oder anderen Nagel mit super schweren Hämmern selbst ins Holz zu schlagen und die Bretter anzureichen.
"Mit uns ist es komisch, wir können so viel".
Selbstwirksamkeit, Stolz, Ausgeglichenheit durch eine gemeinsame Erfahrung: Weitere Schritte konnten nur gemeinsam bewältigt werden. Ein Glück, dass für die weiteren großen Arbeitsschritte die Schüler:innen der Klasse 7 und Klasse 8 freudig bereit standen. Sie grundierten das Haus sorgfältig, um es vor Umwelteinflüssen zu schützen und entschieden sich, nach einer klaren Strukturierung der weiteren Schritte, das Haus in einem ruhigen, hellen Grauton zu streichen.
Es ist also wirklich so weit: Eine rAuSzeit…
… als Möglichkeit zur Sicherheit.
… als Gelegenheit bei Dringlichkeit.
… als Notwendigkeit bei zu hoher Geschwindigkeit.
… zur Regelmäßigkeit einer Glückseligkeit.
… zur Geborgenheit bei Empfindsamkeit.
Wir, die Schüler:innen, Helfer:innen und Lehrer:innen freuen uns unsagbar über unser neues, spannendes, nachhaltiges, wirksames, ruhegebendes und gemeinsames rAuSzeit-hauS.
In diesem Sinne: DANKE, dass Sie unser Projekt der etwas anderen Art unterstützt und unserem Gedanken von individueller Partizipation ein Gesicht gegeben haben!