Sexualpädagogischer mfm-Projekttag für die Jahrgangsstufe 5 (Projekt des Monats Juni 2023)

Ansprechpartner:

Frau Felbick

Institution:

Geschwister-Scholl-Gymnasium Unna

  • Palaiseaustraße 2
    59425 Unna

Beschreibung und Ziele:

Seit 6 Jahren besteht bereits der sexualpädagogische mfm-Projekttag an unserer Schule. "mfm" steht dabei für "my fertility matters" - ein kleines Wortspiel mit zwei möglichen Übersetzungen: "Alle Angelegenheiten rund um meine Fruchtbarkeit" oder "Meine Fruchtbarkeit ist wichtig!" Unser Projektpartner, das MFM-Projekt® s. online unter www.mfm-programm.de unterstützt Schulen bei der Sexualerziehung, welche im Rahmen des Lehrplans für die Erprobungsstufe vorgesehen ist. Im Klassenverband und regulären Unterricht steht die Vermittlung von biologischen Fakten im Vordergrund. Der mfm-Projekttag, den wir immer im Quartal zwischen den Oster- und Sommerferien anbieten, bietet dagegen durch eine individuelle und spielerische Herangehensweise und durch Ansprache der emotionalen Ebene eine ideale Ergänzung des Fachunterrichts. Das Besondere daran ist, dass an diesem Projekttag die beiden Workshops, nämlich "Die Zyklusshow" für die Mädchen, und "Agenten auf dem Weg" für die Jungen, geschlechtsgetrennt stattfinden. In kleinen Gruppen von 9-15 Kindern werden die Mädchen und Jungen dabei auf eine Entdeckungsreise durch ihren eigenen, also den weiblichen bzw. männlichen Körper geschickt. Die Kinder können bei geschulten Pädagogen für sie wichtige Fragen stellen, die sie sich im normalen Klassenverbund Mädchen und Jungen oder bei der Biologielehrkraft, insbesondere, wenn diese ein anderes Geschlecht hat, oft nicht zu stellen trauen. Von dem Konzept dieses Projekttages sind wir als Schulgemeinschaft absolut überzeugt. Das Projekt hat mehrere Auszeichnungen erhalten, so den Bayerischen Gesundheitsförderungs- und Präventionspreis 2002 sowie die Auszeichnung als "best practice-Projekt" der Europäischen Union und das Bundesverdienstkreuz für die Initiatorin 2011. Auch wir haben von allen Seiten, von Kindern, Eltern, BiologiekollegInnen und Klassenlehrerteams bisher nur positive Rückmeldungen bekommen! Eine Dokumentation des letztjährigen Projekttages finden Sie auf unserer Schulhomepage: https://gsg-unna.org/index.php/10-schulleben-schulprofil/125-mfm-projekt

Die Pubertät ist für jeden Heranwachsenden, ob Junge oder Mädchen, ein ganz bedeutender Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Viele körperliche und seelische Veränderungen geschehen, die verunsichern können und eingeordnet werden wollen. Für ein gutes Körper- und ein starkes Selbstwertgefühl, einen verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Sexualität und damit auch für die Vorbeugung von sexueller Gewalt oder ungeplanten Schwangerschaften ist das Wissen um diese Vorgänge unverzichtbar. Im Unterschied zum Fachunterricht wird bei unserem mfm-Projekttag nicht nur das reine Fachwissen, also die "Kopf-Ebene" angesprochen, sondern gleichwertig ebenfalls Gefühle und Fantasie. Es wird ein positiver Bezug zum Geschehen im Körper hergestellt, Wertschätzung und Staunen über die Leistungen des eigenen Körpers sind ein wesentliches Ziel. Am Geschwister-Scholl-Gymnasium haben wir einen hohen Anteil an Migranten unter unseren Schülerinnen und Schülern. Gerade für diese Mädchen oder Jungen erleben wir den Workshoptag als sehr wertvoll, da im Elternhaus über die körperlichen und psychischen Veränderungen in der Pubertät häufig nicht gesprochen wird und der eigene Körper, Vorgänge wie Regelblutung, Ejakulation oder Schwangerschaft noch oft schambesetzt sind. Wertschätzung des eigenen Körpers sowie Wissen um die Vorgänge im Körper der späteren Partnerin bei einer Schwangerschaft sind jedoch unverzichtbar für ein selbstbewusstes Leben und einen respektvollen Umgang der Geschlechter untereinander. Die vermittelten fachlichen Inhalte und Kompetenzen sowohl im Jungen- als auch im Mädchen-Workshop werden von den Biologielehrkräften in der Jahrgangsstufe 9 zu Beginn der dort verorteten weiteren Sexualerziehung aufgegriffen und thematisiert. Da wir nun schon seit 6 Jahren dieses Projekt an unserer Schule haben, können wir berichten, dass die Jungen und Mädchen tatsächlich nachhaltig von diesem Tag profitieren und einen ausgesprochen positiven Zugang zu ihrem Körper haben und über die zugrunde liegenden Vorgänge von Pubertät, weiblichem Zyklus, Spermienreifung, Befruchtung, Schwangerschaft und Geburt Bescheid wissen.

Wie wurden die Kinder in das Projekt eingebunden?

Am Projekttag wird der normale Klassenverband aufgelöst. Die Kinder verbringen den gesamten Schulvormittag 1. - 6. Stunde in kleinen, geschlechtsgetrennten Gruppen von 9 bis maximal 15 Kindern. Eine Referentin bei den Mädchengruppen oder ein Referent bei den Jungengruppen des mfm-Programms hat den Raum bereits mit farbenfrohen Materialien gestaltet, bei den Mädchen liegen mit Tüchern und anderen Materialien gestaltet die weiblichen inneren Geschlechtsorgane auf dem Boden, um die herum sie sich mit Decken und Kissen gruppieren. Bei den Jungen geht es etwas weniger materialaufwändig, aber nicht weniger liebevoll zu: Sie versetzen sich in einem Rollenspiel in "Spezialagenten", die Spermien, deren Aufgabe nichts Geringeres ist, als das Überleben der Menschheit zu sichern. Dabei lernen sie zunächst die einzelnen Organe ihres männlichen Körpers kennen. Auf ihrer weiteren abenteuerlichen Reise durch mehrere anschaulich aufgebaute Stationen ins "Land des Lebens", dem Körper der Frau, erleben sie weit entfernt von trockener Theorievermittlung oder der mit dem Thema oft verbundenen Peinlichkeit, wie ein neuer Mensch entsteht. In diesem Zusammenhang verstehen sie auch, warum Mädchen eine Blutung und einen Zyklus haben. Im dritten Teil, dem "Happy man" erfahren sie, wie sich ihr Körper in der Pubertät vom Jungen zum Mann entwickelt. In ernsthaften Gesprächen, aber auch mit viel Spaß wird dem Thema in altersgerechter und respektvoller Weise der Raum gegeben, der ihm gebührt. Die Jungen spüren: "Was in mir vorgeht, ist echt cool!" Auch bei den Mädchen besteht der Projekttag aus drei Teilen. Im ersten Teil der Zyklusshow erleben sie, wie aus einer Spermienzelle und einer Eizelle ein neues Leben entsteht: Wie die "Bühne des Lebens" die inneren weiblichen Geschlechtsorgane von den "Frühlingsboten" FSH, den "Östrogen-Freundinnen" und dem "Progesteron-Team" auf das "große Finale", nämlich die Schwangerschaft und Geburt eines Kindes vorbereitet wird. Am Ende wird mit einer Puppe sogar die Geburt symbolisiert. Im zweiten Teil des Workshops, dem Hauptteil, geht es nur noch um ihren eigenen Körper: Nun schlüpfen auch die Mädchen in einem Rollenspiel in die Rolle der Hormone und erleben hautnah, wie die Östrogene als ihre besten Freundinnen sie in der Pubertät in eine Frau verwandeln. Sie stellen fest, dass auch ihr eigener Körper in jedem Zyklus neu "Luxussuiten" für einen möglichen Gast, also eine befruchtete Eizelle, vorbereitet. Kommt er nicht, wird - wie in der Natur - nicht getrauert und nicht gespart: jeder neue Gast bekommt nagelneue Luxussuiten, die unbenutzten fließen als Zeichen des Reichtums und Überflusses, als das "kleine Finale" der Zyklusshow, die Menstruationsblutung, aus dem Körper. Dabei entschlüsseln die Mädchen die verschiedenen Geheimcodes in ihrem Körper, z.B. den Zaubertrank Weißfluss, Zervixschleim, und werden eingestimmt auf ihre erste Blutung. Im letzten Teil des Projekttages sind genau diese Blutung, mögliche Ängste und Sorgen sowie notwendige Hygienemaßnahmen und -materialien Thema. Das ausführliche Gespräch darüber bereitet sie auf die oft noch nicht eingesetzte erste Blutung vor, gibt ihnen Selbstvertrauen und weckt ihren Stolz darauf, eine Frau zu werden. Sie haben den weiblichen Zyklus an diesem Projekttag nicht wie so oft in der Öffentlichkeit dargestellt als etwas Mysteriöses, Furchteinflößendes und Schmerzhaftes kennengelernt, sondern als ein beeindruckendes Geschehen auch zwischen den Blutungen, welches Frauen befähigt, neues Leben hervorzubringen.

Rückblick:

Den eigenen Körper und seine Veränderungen in der Pubertät positiv wahrzunehmen, zu lernen und zu staunen über seine Fähigkeiten, Leben zu zeugen und auszutragen - dass dies im Coronajahr mithilfe der mfm-Workshops doch noch vor Ort und in Präsenz möglich wurde, war für den jetzigen Jahrgang 6 selbst ein kleines Wunder. Immer wieder musste der Termin der Workshops verschoben werden… fast ein Jahr nach dem ersten angesetzten Datum fanden die Projekttage dann endlich statt. Freiwillig, natürlich unter strenger Beachtung von Hygieneregeln, mit vorherigem Selbsttest aller Beteiligten, mit Abstand und Maske. Sich mit Klassenkameradinnen bzw. Mitschülern in Präsenz und mit unmittelbarem Kontakt treffen zu können, war nach Monaten des Distanzlernens ohnehin schon etwas Besonderes. Dann aber noch zusätzlich den normalen Unterricht aufzubrechen, gerade bei einem so "heiklen" Thema, sorgte für viel Dankbarkeit bei Kindern und auch bei Eltern. Diese waren zuvor in einem virtuellen Elternabend über Inhalte und Methoden des Projekttags informiert worden. "Wir haben uns gut überlegt, ob unsere Tochter trotz der aktuellen Umstände teilnehmen soll. Aber es handelt sich um ein ganz besonderes Projekt, was wir für extrem gut und wichtig halten, geht es doch nicht nur um Aufklärung. Missbrauch gehört zu den Themen, vor denen ich gehörig Respekt habe. Und ich denke, dass sich Kinder besser schützen können, wenn sie ihren Körper wertschätzen," so sprach eine Mutter vielen anderen Eltern aus dem Herzen. In kleinen geschlechtsinternen Gruppen spielerisch und abwechslungsreich jeweils mit einer Referentin für die Mädchen und einem Referenten für die Jungen über die Abläufe und manchmal auch beunruhigenden Veränderungen des eigenen Körpers sprechen zu können, war für die Mädchen und Jungen ein besonderes Geschenk. "Ich habe so viel Neues gelernt, dass ich es gar nicht alles aufzählen kann," erzählte ein Junge hinterher. "Dass es fast allen Jungen so geht wie mir, war mir vorher gar nicht so klar." Von Mädchenseite kamen ähnlich positive Reaktionen: "Irgendwie freue ich mich jetzt richtig auf meine Periode. Es wurde alles so verständlich besprochen, jetzt verstehe ich viel besser, was in mir drin passiert."
Wir danken als Schulgemeinschaft des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Unna der Stiftung "Von klein auf", dass sie dieses tolle Projekt komplett finanziert hat!