Gesamtschule Kevelaer-Weeze
Im Zentrum des Projektes steht die Vermittlung theaterpädagogischer Techniken für Schüler des 5.-10. Jahrgangs, Einsichten und Mittel zur Konfliktbewältigung und für Klärungs-prozesse mit rassistischem Hintergrund im Schulalltag zu erwerben. Erlernt werden Basiskompetenzen wie das Statuen- und Forumtheater, die über den schulischen Kontext hinaus mit Schülern und auf Wunsch auch mit weiteren Teilnehmern erprobt und angewendet werden. Das theaterpädagogische Vorgehen orientiert sich dabei an dem Konzept Augusto Boals: Das ursprünglich als politisches Instrument entwickelte"Theater der Unterdrückten" wurde erfolgreich in den letzten Jahren durch introspektive Techniken für den psychosozialen Bereich erweitert. Bewegungsübungen und das Verkörpern innerer Bilder im Statuentheater lassen Vertrauen in sich und sein Gegenüber wachsen, sensibilisieren rassistische Handlungen, Redeweisen und Einstellungen wahrzunehmen, regen einen Dialog an und führen behutsam in den theaterpädagogisch themenbezogenen Prozess ein. Im Verlauf des Prozesses werden Konflikte aus dem Erfahrungsfeld der Schüler heraus szenisch weiter erarbeitet. Damit werden Denken und Körpererleben miteinander verknüpft und Konflikte können im szenischen Spiel detailliert nachgestellt und aufgearbeitet werden. Neue Perspektiven werden aufgefächert und Sichtweisen für ein öffnendes, respektvolles und tolerantes Miteinander nicht nur dargestellt, sondern für einen Transfer in den Alltag erfahrbar gemacht mutig und couragiert aufzutreten und zu handeln. Universale Themen wie Sinnfindung im Leben, Freizeitgestaltung und soziale Kontakte sprechen über die persönliche Ebene hinaus kollektive Erfahrungen aller anderen Anwesenden an und bringen ein Verstehen und Verständnis,Vertrauen und Verbundenheit untereinander zum Ausdruck. Auf Wunsch kann eine gemeinsame Abschlusspräsentation aus Theater, Gesang und Tanz die Öffentlichkeit am gewachsenen Miteinander teilnehmen und verbindliche Begegnung auch über den offiziellen Projektrahmen hinaus wachsen.
Ziel ist durch die persönlichen Erfahrungen die eigenen und fremden Ressourcen zu erkennen und zu stärken, und scheinbare Defizite "des unbekannten Anderen" in Stärken zu verwandeln, wie z.B. mit besonderem Blick auf Wertevermittlung. Der Einzelne wird in seiner Wahrnehmung geschult, Strukturen und Mechanismen, die Begegnung fördern und auch verhindern können zu erkennen. Mit einem frühen Erkennen von Bedingungen, die ausgrenzende Situationen begünstigen, werden die Teilnehmer zu Toleranz und Interesse gegenüber dem anderen herangeführt. und lernen gemeinsam, aktiv auch fremde Situationen beeinflussen zu können, ohne Ignoranz und Ablehnung herbeizuführen. Ziel des Projektes ist auch das Erwerben einer Handlungskompetenz, die den Einzelnen und die Gruppe darin unterstützt aus der eigenen Passivität herauszutreten und zu einem handlungsfähigen Akteur zu werden. Neues Verhalten übt er im Rollenspiel und erprobt es für den Alltag. Innere Prozesse werden im szenischen Aufbau äußerlich sichtbar und werden somit nicht nur für den Akteur, sondern auch für die anderen Interaktionspartner transparent - eine ergänzende Kommunikationsplattform wird für alle Beteiligten nachvollziehbar geschaffen. Gleichzeitig wirkt das Projekt gemeinschaftsstiftend auf die entstehende Gruppe und darüber hinaus: Das gemeinsame Erleben die Fremdheit des anderen in Begegnung verwandelt zu haben, stärkt das Bewusstsein für den anderen in der Gruppe und somit die Verantwortung für die Gemeinschaft. Die Ziele des Projektes sind demnach vielfältig: - Stärkung der Handlungskompetenz - Wertevermittlung und respektvoller Umgang miteinander - Schulung der Selbst- und Fremdwahrnehmung - Soziales Kompetenztraining, Entwicklung von Zivilcourage - Stärkung des Gemeinschaftserlebens in der Gruppe und im regionalen Raum
Die Jugendlichen sind in Form interaktiver Prozesse an dem Projekt beteiligt: In jeder Phase, sowohl bei den einführenden Körperübungen, beim Statuentheater, als auch beim szenischen Aufbau ist die ganze Gruppe in denProzess mit einbezogen. Zur Durchführung des Projektes wird die Gruppe geteilt. Phasenweise werden die beiden Gruppen zusammengeführt, ihre erarbeiteten Inhalte vorzustellen und gemeinsam zu reflektieren. Reflexionsrunden werden wiederholt in den Kleingruppen durchgeführt, den Erkenntnisprozess zu vertiefen. Ein szenisches Spiel soll eine gemeinsame Stückproduktion aus der Lebenswelt der Teilnehmer abrunden.
Artikel aus der Rheinischen Post
Schulleben: Mit Herz und Verstand gegen Rassismus
Kevelaer Drei Tage probte die Klasse 7d der Gesamtschule Kevelaer-Weeze den Ernstfall. Wie geht man mit Menschen um, die ausgegrenzt werden? Und warum ist das so? Eine Suche nach Antworten, die unter die Haut geht.
• Von Bianca Mokwa
Die Schüler bilden einen Kreis. In der Mitte steht ein Mädchen mit einem roten Plüschherz. Die Schüler außen halten sich an den Armen und Händen fest. Für den, der draußen steht, bedeutet das: kein Durchkommen. Das Mädchen ist drinnen, er ist draußen. "Wie fühlt sich das an?", will Petra Lemke wissen. Die Theaterpädagogin ist gemeinsam mit ihrem Kollegen Mike Becker für drei Tage an der Gesamtschule Kevelaer-Weeze. Das Thema: "Theaterpädagogische Methoden für eine Schule ohne Rassismus". Was sich zunächst sperrig anhört, erarbeiten sich die Schüler der Klasse 7d Schritt für Schritt. Möglich wurde das Projekt durch die Gelsenwasser-Stiftung.
Warum gerade die 7d? Hat diese Klasse ein Rassismus-Problem? Eher das Gegenteil ist der Fall, erklärt Kathrin Jansen, die gemeinsam mit Johannes Terhorst die Klassenleitung hat. An der Schule gibt es Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Ein Junge aus Afrika war für vier Monate in der Klasse 7d. Als er dann doch in die sechste Klasse wechselte, waren die Mitschüler der 7d traurig, erklärt die Lehrerin. Von Rassismus keine Spur. Aber: "Man muss Stärken auch stärken" und "Da ist noch mehr rauszuholen" lautet die Überzeugung der Klassenlehrerin. Ihr geht es um eine Sensibilisierung für das Thema. "Ich finde, man kann gar nicht früh genug anfangen, dass Rassismus keinen Platz hat bei uns."
Aber was ist Rassismus überhaupt? Damit beschäftigten sich die Schüler in den ersten beiden Tagen, des insgesamt dreitägigen Projekts. "Am ersten Tag haben wir die Kinder dort abgeholt, wo sie stehen, mit ihren Erfahrungen und ihren Musikrichtungen", erklärt Herbert Johnen. Der Sozialpädagoge begleitete die Schüler mit seiner Kollegin Lisa Hegmann in den drei Tagen. Am ersten Tag wurde zum Beispiel über Rap gesprochen. "Den Rapper Kollegah fanden alle ganz cool. Musik ist ja schön, aber wir haben auch die Frage gestellt, was steckt dahinter", sagt der Sozialpädagoge. Und da wurde schnell deutlich, dass Worte wie "Flüchtlingsschlampe" nicht nur nicht politisch korrekt sind, sondern ganz schön daneben. Zur Erinnerung: In diesem Jahr gaben einige Musiker ihren Musikpreis "Echo" aus Protest zurück, als man Kollegah und Farid Bang einen Echo verlieh. Es geht um das genaue Hinhören und Hinsehen.
"Es geht auch um die kleinen Situationen im Alltag", erklärt Theaterpädagogin Petra Lemke. Die Hausaufgabe für die Schüler bestand darin, auf die Suche nach Situationen zu gehen, in denen Menschen ausgegrenzt werden. "Die Schüler sollen ein Gefühl dafür bekommen, dass solche Situationen nicht weit weg sind. Ausgrenzung beginnt schon dort, wo ich jemanden nicht dabei haben will und vielleicht gar nicht genau weiß, warum."
In kleinen Gruppen werden solche Situationen nachgestellt. Drei Schüler stehen zusammen, ein vierter weit abseits. Alle anderen Schüler der Klasse 7d schauen zu. Ein "Gefühlsreporter" wird zu den einzelnen Akteuren geschickt. Wie fühlen sich die Mitglieder der Gruppe, wie der einzelne? "Nicht so gut, weil die mich ausschließen", lautet die Antwort des Jungen, der am Rand steht. Der Gefühlsreporter fragt nach seinen Wünschen. "Dass sie nicht mehr über mich lästern." Das geht unter die Haut. Theaterpädagogin Petra Lemke wendet sich an die Schüler, die Zuschauer. "Ich brauche eine Künstlerin. Verändere das Bild so, dass derjenige, der die meiste Unterstützung braucht, sie auch bekommt", lautet ihre Aufgabe. Ein Mädchen steht auf, zieht den Jungen zu dem Dreier-Grüppchen und lässt alle die Hände wie zum Schwur aufeinanderlegen.
Die gleiche Szene noch einmal. Eine andere Lösung. Ein Junge aus den Zuschauerreihen stellt sich zu dem Jungen, der bisher alleine abseits steht. Nun ist er nicht mehr allein. "Da war nix an Vorgaben von uns", sagt Petra Lemke sichtlich berührt von den Problemlösungen. "Auch wenn es nur nach einer kleinen Theaterszene aussieht, es ist mehr als das", mahnt sie. "Es ist die Als-ob-Probe für die Realität."
Am letzten Projekttag wurden drei, vier größere Szenen aus dem Alltag der Jugendlichen beim Forumtheater als Vorlage genommen. Das Besondere: Die Schüler konnten in die Szene eingreifen, in der es um Ausgrenzung ging, und sie positiv verändern. Sich zum Beispiel zu jemandem dazustellen. Wenn die das im Spiel schaffen, "dann kriegen die das im Alltag auch hin. Das ist meine Erfahrung", sagt die Theaterpädagogin. Sie kann sich gut vorstellen, dass die Klasse 7d so zum Multiplikator wird und den Schulalltag positiv prägt.
Info
Die Ursprünge des Forumtheaters
Schule Schüler der Gesamt¬schule Kevelaer-Weeze nahmen am Projekt der Gruppe "Bildung-aller-Sinne" teil. Die Gruppe bietet interaktive Konzeptionen an, die vom Institut für Kognition und Kommunikation der Uni Duisburg entwickelt wurden. Eine dieser Methoden ist das Forumtheater.
Begründer Das Forumtheater geht zurück auf Augusto Boal. Er gilt als bedeutender Theaterpädagoge und steht für das "Theater der Unterdrückten". Boal stammt aus Rio de Janeiro und floh vor der Militärdiktatur Brasiliens. Im "Theater der Unterdrückten" sieht er ein politisches Instrument. Das Publikum ist nicht nur Zuschauer, sondern auch Handelnder. Diese Form des Theaters soll es ermöglichen, gesellschaftliche Unterdrückung aufzudecken.