Städtisches Gymnasium Selm
Der Übergang von der Mittelstufe in die Einführungsstufe der Oberstufe stellt Schülerinnen und Schüler im Fach Chemie vor eine besondere Herausforderung. Bisher haben sie das Fach Chemie als Nebenfach wahrgenommen, in dem z. B. Leistungsüberprüfungen in Form von Kurztests eher selten vorkamen und dessen Noten weniger versetzungswirksam waren. Mit Beginn der Klasse 10 Einführungsphase schreiben sie in diesem Fach erstmalig Klausuren, deren Ergebnisse die Hälfte der Zeugnisnoten ausmachen. Beim Wechsel in die Oberstufe entscheiden sich fast zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler, das Fach Chemie abzuwählen MSW NRW 2013. Wie ein aktuelles Forschungsprojekt aus NRW Hülsmann et al. 2014 zeigt, begründen die Schülerinnen und Schüler dies überwiegend mit Leistungsproblemen und einem negativen Selbstkonzept. Hinzu kommt, dass im Fach Chemie der Stoff der Mittelstufe zum Teil unterschiedlich intensiv vermittelt wird. Ferber 2014 konnte in diesem Zusammenhang erhebliche Wissensunterschiede bei Schülerinnen und Schülern in Abhängigkeit zu den unterrichteten Themen nachweisen. Zusätzlich kommen zu Beginn der Oberstufe auch noch Schulformwechsler hinzu, die ebenfalls ein anderes Vorwissen mitbringen. In der Praxis entsteht dadurch das Problem, dass zu Beginn der Oberstufe unterschiedliche Wissenslücken bei Schülerinnen und Schülern in kurzer Zeit geschlossen werden müssen. Daher bietet sich ein arbeitsteiliges Vorgehen an, damit einzelne Schülergruppen nicht unter- bzw. überfordert werden. In diesem Projekt wird eine Entwicklung von Lernmaterialien zur Angleichung des Fachwissens angestrebt
Im Rahmen dieses Projekts soll der Übergang zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II im Vordergrund stehen. Wie oben bereits beschrieben, ist es zu diesem Zeitpunkt besonders wichtig, heterogene Vorwissensstände aneinander anzugleichen. Ziel des Projektes ist es, dass Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 und der Qualifikationsphase 1 Q1 gemeinsam mit der Lehrkraft Interaktionsboxen entwickeln, mit denen die Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase EF ihre Wissenslücken schließen können. Für ein arbeitsteiliges Vorgehen erscheinen Interaktionsboxen besonders geeignet, die die Inhalte der Sekundarstufe I wiederholen und von Schülerinnen und Schülern selbstständig bearbeitet werden können. Hierbei können sich Schülerinnen und Schüler mit ähnlichen Defiziten in Kleingruppen zusammenfinden und kooperativ an der Aufarbeitung der Wissenslücken arbeiten. Bei den Interaktionsboxen handelt es sich um Kisten mit Experimentiermaterial, Aufgabenstellungen und Informationen, die dazu dienen, chemische Fragestellungen vorzugsweise experimentell zu bearbeiten Die Lernwirksamkeit von Interaktionsboxen wurde bereits in verschiedenen Studien z. B. Rumann 2005 nachgewiesen. In dem hier skizzierten Projekt sollen Boxen entwickelt werden, die gezielt typische Probleme beim Übergang in die Oberstufe aufgreifen. Die Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse sind in Kooperation mit den Schülerinnen und Schülern der Q1 für dieses Vorhaben besonders geeignet, weil erstere die Sekundarstufe I gerade abschließen und daher die Inhalte und Schwierigkeiten sehr gut vor Augen haben, während letztere die EF kurz zuvor absolviert haben und den Wiederholungsbedarf daher besonders genau beschreiben können. Es sollen vier thematisch unterschiedliche Interaktionsboxen entstehen, die dazu geeignet sind, dass 3-4 Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit einer Box arbeiten können. Für einen Klassensatz werden von jeder Box somit ca. 9 Boxen benötigt - insgesamt also 36 Boxen. Pro Box fallen Materialkosten von ca. 50 € an Box, laminierte und somit mehrfach verwendbare Aufgaben- und Informationskarten, Geräte, Chemikalien, so dass insgesamt 1.800 € Materialkosten entstehen. Ferner muss ein Laminiergerät 100 € angeschafft werden, damit die Materialien langfristig in dem Unterricht späterer Jahrgangsstufen eingesetzt werden können.
An dem Projekt werden Schülerinnen und Schüler aus zwei verschiedenen Jahrgangsstufen rund um den Übergang zwischen Sekundarstufe I und II aktiv beteiligt. In einem ersten Schritt sollen die Schülerinnen und Schüler besonders wichtige und ihrer Ansicht nach schwierige Themen der Sekundarstufe I identifizieren, während die Schülerinnen und Schüler der Q1 typische Problemstellen in der EF beschreiben. Anschließend sollen von allen Schülerinnen und Schülern gemeinsam, unterstützt von einer Chemie-Lehrkraft, vier verschiedene Interaktionsboxen entwickelt werden, mit denen die wichtigsten Probleme beim Übergang aufgegriffen werden. Das Projekt wird im Rahmen des Forderkurses Chemie / Naturwissenschaft der Jahrgangsstufe 9 sowie in einer Chemie AG, die für Oberstufe angeboten wird, umgesetzt.
In den letzten Monaten haben die Schülerinnen und Schüler am Städtischen Gymnasium in Selm intensiv an dem Projekt gearbeitet. Zunächst wurden die Schülerinnen und Schüler, die erst seit kurzer Zeit in der Oberstufe sind, nach ihren größten Schwierigkeiten im Chemieunterricht befragt. Insgesamt zeigten sich den Mitgliedern der Chemie AG hier verschiedenste Probleme, aus denen sie vier Schwerpunkte isolierten: Aufbau und Systematik des Periodensystems, Bohrsches Atommodell, Rechenaufgaben und Reaktionsgleichungen. Zu diesen vier Schwerpunkten entwickelten sie, gemeinsam mit dem Forderkurs Chemie der Klasse 9, vier verschiedene Experimentierboxen im Klassensatz, in denen die genannten Themengebiete eigenständig, in kooperativer Gruppenarbeit wiederholt werden können. In der Experimentierbox Periodensystem können mit Hilfe verschiedener Hauptgruppenelemente das Periodensystem selbstständig gelegt und grundlegende Eigenschaften der Elemente wiederholt werden. Für die Experimentierbox Bohrsches Atommodell haben die Mitglieder der Chemie AG ein Schalenmodell aus Holz konstruiert. Zur Wiederholung sollen mit Hilfe von Holzkugeln verschiedene Elektronenanordnungen gelegt werden. Für die Experimentierbox Rechenaufgaben sind Experimentiermaterialien wie Büretten und Erlenmeyerkolben angeschafft worden. Anhand einer zunächst durchgeführten praktischen Titration können hier verschiedene Rechenschritte nach Anleitung wiederholt werden. Molekülbaukästen unterstützen die Arbeit mit der Experimentierbox Reaktionsgleichung. Hier können Schülerinnen und Schüler verschiedene Reaktionen mithilfe von laminierten Karten zunächst legen und anschließend zur Veranschaulichung nachbauen. Die Erstellung der Boxen hat der Chemie AG und dem Forderkurs sehr viele Freude bereitet. Alle sind zuversichtlich, dass zukünftigen Schülerinnen und Schüler die Boxen die Wiederholung erleichtern werden. Herzlichen Dank!